Prof. Dr. Erika Bock-Rosenthal

Der dritte Medienänderungsstaatsvertrag beauftragt die Gremien im Zuge der Flexibilisierung mit ganz neuen Aufgaben und Befugnissen. Der vierte Medienänderungsstaatsvertrag, der Regelungen für Transparenz und Compliance enthält, befindet sich im Anhörungsverfahren. Die ARD-Sender sind dabei, ihre Zusammenarbeit im Bereich Organisation und Finanzverwaltung zu verstärken und einheitliche Verwaltungssoftware einzuführen. Es ist also Bewegung in den Sendern und in der Medienpolitik. In der Öffentlichkeit müssen sich die öffentlich-rechtlichen Sender nach wie vor rechtfertigen, wie sie mit dem Geld der Beitragszahler umgehen und wozu die öffentlich-rechtlichen Medienangebote überhaupt notwendig sind. Selbst runde Tische werden gefordert, um über die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien ganz neu nachzudenken. Mit ersten Positionspapieren ist die Debatte eröffnet. In dieser Situation möchte der Initiativkreis öffentlich-rechtlicher Rundfunk Köln e.V. sich einschalten in die anlaufende Debatte. Einige Vorschläge erfordern einen neuen Staatsvertrag, aber Vieles ließe sich einfach vertraglich regeln.

1. Der ÖRR als Garant für das duale System

In langjähriger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Funktionsauftrag des ÖRR definiert als dienende Freiheit, die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung garantiert und damit eine Grundvoraussetzung für die Demokratie darstellt. Der ÖRR ist kein Lückenfüller auf privat dominierten Medienmärkten, im Gegenteil: die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geht davon aus, dass die andere Seite des dualen Systems mit kommerziellen Interessen und den geringeren inhaltlichen Anforderungen überhaupt erst vertretbar ist, wenn der ÖRR seine verfassungsrechtlichen Funktionsauftrag erfüllt. Er stellt ein unabhängiges, vielfaltsicherndes, Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht dar gegen Gefahren der Manipulation und Kommerzialisierung. Er eröffnet damit den Markt für private An- bieter und ist bei wichtigen Sendeinhalten Voraussetzung zur Marktteilhabe privater Anbieter. Insoweit erfüllen einige der vorliegenden Reformvorschläge nicht die langjährigen verfassungsrechtlichen Vorgaben. Insbesondere in gesellschaftlich schwierigen Zeiten, in denen die Grundlagen der Demokratie angegriffen werden, Fake News und soziale Medien dazu beitragen, die Gesellschaft zu spalten, sind wir auf unabhängige, glaubwürdige, professionelle Information, Berichterstattung und Einordnung angewiesen.

2. Keine Fusion von ZDF und Das Erste

Vor einer Zusammenlegung von ARD und ZDF sei gewarnt, denn gutes Management basiert auf unterschiedlichen Unternehmenskulturen, und die lassen sich nicht ohne weiteres angleichen. Vor allem würde das Vielfaltsgebot missachtet. Wahrscheinlich wäre auch das Gebot der Verfassungsrechtsprechung verletzt, dass ein umfassendes öffentlich-rechtliches Angebot die Voraussetzung für die Zulassung von privaten Anbietern ist. Insofern sind einige Vorschläge wohl kaum verfassungskonform. In einem Rechtsstaat kann man erwarten, dass langjährige verfassungsrechtliche Vorga- ben von allen politischen Parteien und wirtschaftlichen Kräften beachtet werden. Auch innerhalb des öffenlich-rechtlichen Systems ist programmliche Konkurrenz höchst sinnvoll, was wir in der Berichterstattung aus Krisengebieten schätzen. Die beiden Systeme sollten allerdings im Ersten und Zweiten ihr lineares Angebot deutlich verbessern; es gibt zu viel vom Selben. Dazu sei daran erinnert, dass es in den Anfängen des ZDF einmal eine staatsvertragliche Koordinationsverpflichtung zwischen dem Erstem und dem Zweiten gab, die besagte, dass zur gleichen Sendezeit unterschiedliche Genres im Programm bedient werden müssen. Nach dem Moma-Prinzip könnten zudem das Erste und das ZDF in stärkerem Maße kooperieren. Bei der Übertragung von Sportereignissen wechselt man sich inzwischen schon ab. Das könnte auch bei internationalen Großereignissen wie der Beerdigung einer beliebten Monarchin geschehen.

3. Qualitätssicherung im linearen Angebot

Noch haben die linearen Angebote im Fernsehen hohe Bedeutung, wie die jüngste Massenkommunikationsstudie von ARD und ZDF belegt; sie erreichen täglich viele Millionen Zuschauer. Es ist daher falsch, das Lineare kontinuierlich auszudünnen und alles – auch die Finanzmittel – auf online zu setzen. Notwendige Sparmaßnahmen könnten im Bereich der hochpreisigen Sportberichterstattung getroffen werten. Der Integrationsauftrag des ÖRR lässt sich schwerlich nur online erfüllen, sondern gera- de auch im Linearen, das selbst nach Auffassung des ÖRR noch längere Zeit hohe Bedeutung hat. Deshalb ist die vor allem von der ARD unter der Parole Online first angestrebte Ausdünnung des Linearen strategisch falsch und entspricht auch nicht dem Auftrag. Linear und nonlinear haben auf absehbare Zeit beide ihre Berechtigung.

4. Erwartungen an das öffentlich-rechtliche Angebot

Der ARD-Zukunftsdialog hat deutlich gezeigt, dass die Nutzer*innen mehr Information, mehr Hintergrundberichte, Dokumentationen und Erklärungen zu den immer komplexer werdenden Themen unserer Welt und Zeit wünschen. Diese Genres müssen die beiden Hauptfernsehprogramme sehr viel umfangreicher abbilden und damit mehr als bisher zur Meinungsbildung und zum Diskurs beitragen. Und das darf nicht am späten Abend sein, sondern zu deutlich früheren Sendezeiten. Die Anzahl der Talkshows könnte sicher reduziert werden. Statt immer wieder dieselben Politiker und Journalisten einzuladen, könnte durch Wissenschaftler, Mitglieder von NGOs, Bürgerinnen und Bürger u.a. deutlich mehr zum öffentlichen Diskurs beigetragen werden. Mehr konstruktiver Journalismus ist wünschenswert, der nicht nur als kritischer Begleiter agiert, sondern auch Lösungswege aufzeigen und die Menschen dazu ermutigen und aktivieren kann. Viel Fiktionales, vor allem Krimis könnten gut in die Mediathek verlegt werden. Es sollten aber vor allem auch kuratierte Dokumentationen mit entsprechenden Suchfunktionen in den Mediatheken auffindbar sein.

5. Kooperation und Kompetenzzentren in der ARD

In der ARD muss in stärkerem Maße kooperiert werden nicht nur in Verwaltungsangelegenheiten. Auch die historisch gewachsene regionale Struktur der Sender und Einrichtungen sollte auf die Zukunftsfähigkeit hin geprüft werden. Die bundesweite Verzahnung von Schwerpunkten und Kompetenzzentren, wie sie Frau Wille vorgeschlagen hat, wäre in hohem Maße qualitätssichernd. Es ist wenig sinnvoll, wenn jeder Sender seine Wissenschaftsberichterstattung selber bastelt. Kompetenzzentren für medizinisches, ökonomisches, juristisches, naturwissenschaftliches und historisches Fachwissen, das nicht regional gebunden ist, würden sicher der Qualität und Aufbereitung der Themen zugute kommen.

6. Kulturauftrag und Integration neu definieren

Es ist bedauerlich, wie leichtfertig gefordert wird, an den Orchestern und Chören zu sparen. Offensichtlich wird nicht beachtet, dass die öffentlich-rechtlichen Sender in einigen Regionen zu den wichtigsten tragenden Kulturproduzenten zählen, oft in Kooperation mit anderen Kultureinrichtungen. Vor allem aber wird offenbar nicht genü- gend gesehen, welche kulturellen Anstrengungen gemacht werden müssen, die Gesellschaft zusammen zu halten, Extremisten entgegen zu wirken, immer wieder zur Aufklärung und Toleranz beizutragen und auch um Eingewanderte zu integrieren. Weitere mehrsprachige Angebote sind dringend nötig, aber die Sprache der Musik versteht man auch intuitiv. Der ÖRR leistet z. B. mit Rundfunkbeiträgen einen wesentlichen Beitrag dafür, dass Deutschland als Musikland Nr. 1 gilt. Die Ausweitung der Kooperation mit Kultureinrichtungen wie Museen und Theatern wäre wünschenswert in Hinblick gemeinsame Projekte ebenso wie mit Blick auf die Weiterentwicklung der Mediatheken hin zu einem gemeinwohlorientierten Netzwerk. In dem Zusammenhang ist auch wünschenswert, der bildenden und gestaltenden Kunst mehr Raum zu geben im linearen Angebot wie auch in den Mediatheken.

7. Das Online-Potenzial nutzen: Kooperation mit Bildungseinrichtungen

Medienkompetenzförderung ist in Zeiten problematischer Nutzung sozialer Medien und oligarchischer, willkürlicher Angebotsstrukturen im Bereich der Intermediären Dienste dringend nötig. Kompetente Mediennutzung und die Fähigkeit zur unabhängigen Meinungsbildung muss gefördert werden. Faktencheks werden immer wichtiger. Es wäre auch sinnvoll, den Kulturauftrag in diesem Sinne neu zu fassen und die Mediatheken als Archiv und Gedächtnis der Gesellschaft auszubauen. Der ÖRR könnte auch dazu beitragen, das Digitalisierungsdefizit in Deutschland zu reduzieren in Kooperation mit Schulen, Hochschulen und sonstigen Bildungseinrichtungen. Angesichts der Probleme mit den internationalen Plattformen, die sich nur mühsam an europäisches Recht gewöhnen wollen, erscheint es immer plausibler, eine deutsche Plattform anzustreben, auf der auch die politischen Debatten geführt werden könnten.

8. Public Value sichtbar machen

Der ÖRR müsste den Public Value viel sichtbarer machen, z.B. Werbung für seine guten Leistungen für ganze 60 Cent am Tag machen und durch Crosspromotion auf sein breites Gesamtangebot hinweisen. Immer nur Trailer im Ersten fürs Erste auszustrahlen und dann meist für Krimis, enthält den Zuschauern vor, welche guten Angebote in den anderen Programmen oder in den Mediatheken existieren. Im Eigeninter- esse sollten die öffentlich-rechtlichen Sender viel mehr aufklären, wie das duale Sys- tem funktioniert, und welche Leistungen sie selbst für unterschiedliche Zielgruppen erbringen – wie z.B. Funk und KIKA. Das gilt insbesondere auch für das Zusammen- spiel der Medien, quasi als vierte Gewalt, mit anderen demokratischen Institutionen. Die Art, wie im ORF Public Value diskutiert und dargestellt wird, könnte man sich zum Vorbild nehmen. In diesen schwierigen Zeiten wäre es sehr angebracht, nicht nur über die aktuelle Politik zu berichten, sondern ganz grundsätzlich die Demokratie zu stützen, demokratische Prozesse immer wieder zu erklären und über Gewaltenteilung und Informationsfreiheit aufzuklären.

9. Transparenz und Nähe zu den Nutzern

Transparenz auf allen Ebenen zu fordern gilt schon fast als Mantra, muss aber offensichtlich immer gefordert werden. Zuschauerbefragungen und Dialoge mit den Nutzerinnen und Nutzern sollten in regelmäßigen Abständen stattfinden und ausgewertet werden. Nicht nur die Ergebnisse sollten publiziert werden, sondern auch geplante Veränderungen und Reaktionen auf Publikumswünsche.

Besonders wichtig erscheint uns aber auch, den Nutzerinnen und Nutzern Gelegenheit zu geben auf Einblick in die Arbeit – auch im medienpädagogischen Sinn. Viel mehr Publikumskontakt in Sendungen vor Ort wären sinnvoll und könnten auch zur Erdung der Verantwortlichen beitragen. Und schließlich könnten auch die Rundfunkräte vermehrt Publikumskontakte suchen, zum Beispiel zu Gesprächsrunden einladen, um in der Öffentlichkeit ihre Arbeit sichtbar werden zu lassen und das Gespür für die Meinungen und Wünsche des Publikums zu schärfen.

10. Mitbestimmung der Redakteure als Vielfaltsgarantie

Nicht in jeder öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt gibt es Redaktionsstatute, und die bestehenden Statute sind in ihren Formulierungen nicht mehr zeitgemäß. Der Programmauftrag wird grundsätzlich durch die berufliche Qualifikation der journalistischen Mitarbeiter erfüllt. Zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit muss auch für die Online-Medien sichergestellt sein, dass die Programmverantwortung bei den journalistischen Mitarbeitern liegt. Viele organisatorische und strukturelle Veränderungen haben dazu geführt, dass es oft keine eindeutigen Zuordnungen mehr gibt. Die Gesamtverantwortung der Intendantinnen und Intendanten kann das nicht für eine Institution leisten, die Medium und Faktor des Prozesses der freier Meinungsbildung ist und damit Sache der Allgemeinheit. Bisher sind die Intendantinnen und Intendanten allein rechtlich Vertreter und Inhaber der Rundfunkfreiheit. Das muss überdacht werden.

11. Abkehr von der Intendantenverfassung

Die historisch gewachsene Intendantenverfassung muss in Frage gestellt werden. Als die ersten Sendeanstalten mit einem Radioprogramm herauskamen, war die Analogie zum Theaterintendanten passend. Heute wird die Fiktion der Verantwortlichkeit für alles zum Problem. Im Bereich der Hochschulen hat die Überführung der alten Verfassung, die auf der Leitungsebene nur einen Rektor und dessen Stellvertreter vorsah, in eine Rektorats – oder Präsidialverfassung mit Vizepräsidenten und Fachprorektoren überhaupt erst ein effektives Hochschulmanagement möglich gemacht. Auch für die Leitung von Sendeanstalten empfiehlt sich eine Teamstruktur mit Verantwortlichkeiten für die unterschiedlichen Ressorts und gemeinsamer Beschlussfassung ähnlich einem Vorstand eines privaten oder gemeinnützigen Unternehmens.

12. Institutionalisierung und Professionalisierung der GVK und Stärkung der Kontrollgremien

Die Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD ist nach der ARD-Satzung nur beratend tätig. Der Programmchefin des ersten Programms steht damit keine wirksame Gremienkontrolle gegenüber. Das muss sich ändern. Ähnlich wie bei den Rundfunkräten und den Verwaltungsräten braucht die GVK klare Regelungen für ihre Aufgaben und Befugnisse. Auch ein Etat muss vorgesehen werden, damit professionelle Beratung in Anspruch genommen werden kann. Über die Zusammensetzung der Kontrollgremien sollte neu nachgedacht werden. Wünschenswert wäre es, wenn im ZDF die An- zahl der Mandate aus der Politik reduziert würde. Die derzeitige Zusammensetzung entspricht zwar gerade den Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht gezogen hat, aber eine klare Trennung von Exekutive und Berichterstattung wäre sinnvoll.

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