Appell an die Medienpolitik
Wir brauchen eine neue Medienpolitik zum Schutz der Demokratie
Der reichste Mensch der Welt greift massiv und übergriffig in unseren Wahlkampf ein mit aller medialen Macht, die ihm zur Verfügung steht. Er postet ständig auf seiner eigenen Plattform X, deren Algorithmen ihn priorisieren und die AFD und andere Rechtsparteien in Europa bestmöglich bevorzugen. Auch Putin versucht, unseren Wahlkampf zu beeinflussen. Das Investigativ-Medium Correctiv fand geradeheraus, Russland betreibt 100 gefakte Nachrichtenseiten. Das chinesische Unternehmen TikTok wirkt als Radikalisierungsmaschine für Kinder und Jugendliche. Unter dem Banner einer vermeintlichen Meinungsfreiheit haben alle amerikanischen Digitalmilliardäre jegliche Verantwortung für die über ihre Dienste verbreiteten Inhalte fallen lassen. Es gibt keine Faktenchecks mehr, keinen Jugendschutz. Alle Dämme gegen Hass, Drohungen und Lügen sind gefallen. Hinzu kommt die Nutzung von KI als eine Technik, die täuschend echte Bilder produzieren und Stimmen manipulieren kann.
Wir haben dem Treiben der Tech- Milliardäre nichts entgegenzusetzen und sind auf deren Plattformen und Spielregeln angewiesen. Es gibt keine freien Märkte nur gut abgegrenzte Monopole. Unser Medienrecht passt nicht mehr. Die EU kommt mit dem Digital Services Act kaum hinterher, Verstöße gegen nationales Recht, gegen Selbstverpflichtungen und fehlende Transparenz zu ahnden. Es bleibt zu hoffen, dass die EU dem Druck aus den USA standhalten kann. Die Regeln zur politischen Online-Werbung greifen noch nicht, ebenso die Regelungen zur KI.
Medien haben in der Demokratie wichtige Funktionen. Ihre Beiträge zur politischen Meinungsbildung und zur Vielfaltsicherung haben, nach § 5 GG Verfassungsrang. Die Demokratie lebt vom Austausch der Informationen und Meinungen, von der Suche nach Wahrheit und nach vernünftigen Lösungen. Manipulationen, Fakes, Desinformationen, Propaganda und Drohungen sind Gift für unsere Demokratie.
Wie können Qualitätsmedien gestärkt werden, um Meinungsfreiheit und Vielfalt zu erhalten? Wir brauchen Erfindungen, die einen freien Markt eröffnen, ein breites gesellschaftliches Bündnis aller Medien, um eine eigene auch privat finanzierte europäische Plattform zu gründen. Das Institut für Europäisches Medienrecht hält Kooperationsformen zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Qualitätsmedien für zulässig. Das Bündnis Zukunft der Presse zielt in die gleiche Richtung. Wir brauchen kreatives Potenzial, Mut, private Investoren und die Unterstützung durch die Politik.
Notwendigkeit einer Neuausrichtung der Medienpolitik zum Schutz der Demokratie
Die fortschreitende Monopolisierung digitaler Kommunikationsplattformen und der zunehmende Einfluss globaler Technologiekonzerne stellen eine erhebliche Gefahr für demokratische Prozesse dar. Besonders besorgniserregend ist der Einfluss einzelner Digitalkonzerne auf öffentliche Meinungsbildung und politische Entscheidungsfindungen.
Herausforderungen und Risiken
- Mediale Einflussnahme durch Tech-Milliardäre
- Die Möglichkeit gezielter algorithmischer Steuerung politischer Inhalte auf Plattformen wie X (ehemals Twitter) beeinflusst öffentliche Debatten und bevorzugt bestimmte politische Akteure.
- Der Rückzug großer Plattformen von Selbstverpflichtungen zur Regulierung von Desinformation, Hate Speech und Jugendschutz verstärkt gesellschaftliche Polarisierung.
- Aufmerksamkeitsökonomie und algorithmische Manipulation
- Plattformen wie TikTok dienen zunehmend als politische Reichweitenverstärker, insbesondere für populistische Parteien.
- Suchmaschinenmonopole erschweren Alternativen, wodurch digitale Informationsquellen auf wenige globale Anbieter konzentriert bleiben.
- Technologische Herausforderungen durch Künstliche Intelligenz (KI)
- KI-generierte Deepfakes und manipulative Inhalte bedrohen die Integrität von Informationen und demokratische Entscheidungsprozesse.
- Die gegenwärtigen Regulierungsmechanismen sind nicht ausreichend, um diese Entwicklungen zu kontrollieren.
- Regulatorische Defizite und Monopolbildung
- Bestehende medienrechtliche Rahmenbedingungen sind nicht mehr adäquat, um auf die rasanten technologischen Veränderungen zu reagieren.
- Der europäische Digital Services Act (DSA) bietet zwar einen ersten Regulierungsansatz, bleibt aber in der praktischen Umsetzung hinter den Anforderungen zurück.
- Die Marktmacht weniger Tech-Konzerne führt zu monopolistischen Strukturen, die alternative Anbieter verdrängen und Innovationspotenziale einschränken.
- Mangelnde Innovationsförderung und Abhängigkeit von US-Plattformen
- Die europäische Technologie- und Medienlandschaft bleibt hinter der US-amerikanischen und chinesischen Entwicklung zurück.
- Fehlende Anreize für Startups und Forschungseinrichtungen erschweren den Aufbau alternativer digitaler Plattformen.
Handlungsbedarf und Lösungsansätze
- Stärkung der Qualitätsmedien durch gezielte Fördermaßnahmen und unabhängige journalistische Infrastrukturen.
- Entwicklung einer europäischen Medienplattform, um technologische Souveränität und Meinungsvielfalt zu gewährleisten.
- Strengere Regulierung und wettbewerbliche Entflechtung monopolistischer Plattformen durch Transparenzvorgaben, Algorithmenkontrollen und verpflichtende Maßnahmen gegen Desinformation.
- Förderung der Forschung im Bereich digitaler Kommunikationstechnologien und ethischer KI zur Bekämpfung von Manipulationen.
- Unterstützung von Startups, die alternative digitale Plattformen, soziale Netzwerke und Suchmaschinen entwickeln, um der Marktdominanz großer Konzerne entgegenzuwirken.
- Weiterentwicklung rechtlicher Vorschriften zur Entflechtung und Verhinderung von Monopolstrukturen, insbesondere durch verschärfte kartellrechtliche Maßnahmen, und gezielte, verpflichtende Dateninteroperabilität für fairen Wettbewerb.
- Internationale Kooperationen zur Eindämmung der negativen Auswirkungen digitaler Desinformation auf demokratische Systeme.
Ohne eine entschlossene Reform der Medienpolitik und eine strategische Neuausrichtung der digitalen Infrastruktur besteht die Gefahr, dass demokratische Prozesse weiter untergraben werden. Ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Sicherstellung von Meinungsvielfalt, Qualitätspresse und Plattformunabhängigkeit ist daher dringend erforderlich. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erwachsen daraus wichtige Aufgaben.
Prof. Dr. Erika Bock-Rosenthal, Gerhard Zienczyk